Vorläufiger Rechtsschutz in Österreich
Der Begriff des „einstweiligen Rechtsschutzes“ ist dem Österreichischen Recht tatsächlich fremd. Verstanden werden darunter sämtliche Bestimmungen, die a) bloß die spätere Geltendmachung von Rechten in einem (Haupt-)verfahren erleichtern oder absichern sollen, sowie b) die vorübergehende Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien bis zu einer endgültigen Entscheidung ermöglichen. Demnach werden grundsätzlich unterschieden die Verfügungen zur Sicherung von Geldforderungen (§ 379 EO), die Verfügungen zur Sicherung von anderen Individualansprüchen (§ 381 Z 1 EO) und die Besonderen Verfügungen zur Sicherung der sonstigen Rechtssphäre (§ 381 Z 2 EO).
Rechtsquellen für EV
Die Maßnahmen zum einstweiligen Rechtsschutz sind nicht nur in den §§ 379 ff ZPO zu finden. Es lohnt sich auch ein Blick in die folgenden Gesetze:
EV zur Sicherung von Geldforderungen (§ 379 EO)
Diese Verfügungen werden beantragt, um die künftige Exekution wegen Geldforderungen aufgrund der Erhaltung des Vermögens zu sichern. Deren Erlassung setzt die Wahrscheinlichkeit voraus, dass der Gegner der gefährdeten Partei
„durch Beschädigen, Zerstören, Verheimlichen oder Verbringen von Vermögensstücken durch Veräußerung oder andere Verfügungen (…) die Hereinbringung der Geldforderung vereitelt oder erheblich erschweren würde.“
Im Gegensatz zur EV zur Sicherung von anderen Individualansprüchen nach § 381 Z 1 EO bedarf es hier einer subjektiven Gefährdung. Eine objektive Gefährdung ist nur dann ausreichend, wenn die Gefahr besteht, das Urteil außerhalb des Geltungsbereiches des LGVÜ/EUGVÜ vollstrecken zu müssen (Verbringung von Vermögenswerten). „Wahrscheinlichkeit“ muss grundsätzlich iSv „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ dh „Bescheinigung“ (51%) verstanden werden. Teilweise verlangt die Rsp aber eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ (ZB in 4 Ob 299/98a).
Nach der Rsp ist eine EV nicht zulässig bei:
Die Bedeutung dieser EV ist aufgrund der strengen Voraussetzungen, der im Allgemeinen kurzen Verfahrensdauer und der Möglichkeit der Exekution zur Sicherstellung idR gering. Dies ist auch die einzige EV, wo der Gesetzgeber die Sicherungsmittel taxativ aufzählt (§ 379 Abs 3 ZPO).
EV zur Sicherung von anderen Individualansprüchen (§ 381 Z 1 EO)
Mit dieser EV sollen Ansprüche, die nicht auf Zahlung, sondern auf sonstige Leistung, Duldung oder Unterlassung gerichtet sind, gesichert werden. Im Gegensatz zur EV zur Sicherung von Geldforderungen nach § 379 EO reicht hier eine objektive Gefährdung. Es muss demnach zu besorgen sein, dass ohne die EV die
„gerichtliche Verfolgung oder Verwirklichung des fraglichen Anspruchs, insbesondere durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes, vereitelt oder erheblich erschwert werden würde.“
Die EV ist insb zulässig bei:
Besondere EV zur Sicherung der sonstigen Rechtssphäre (§ 381 Z 2 EO)
Diese Verfügungen werden nach dem Gesetz zur „Verhütung“ drohender Gewalt oder zur „Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens“ beantragt, also zur umfassenden Sicherung einer streitigen Rechtssphäre. Sie haben daher vor allem Regelungsfunktion (durch rechtsgestaltende Maßnahmen oder Unterlassungsaufträge soll bis zur Klärung der Rechtslage im Hauptverfahren ein einstweiliger Friedenszustand herbeigeführt werden, zB Eigentum oder Dienstbarkeiten, sonstige absolute Rechte wie Namens- Urheber- oder Patent und Wettbewerbsrechte, Miet- oder Gesellschaftsverhältnisse, Ehe- und Kindschaftsverhältnisse), zT aber auch Leistungs- und Befriedigungsfunktion (ein Leistungsanspruch wird vorläufig befriedigt, zB Zuerkennung vorläufigen Unterhalts gem § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO; ob auch andere, ist strittig). (Vgl Rechberger/Oberhammer, Exekutiosrecht3 Rz 495 ff)
Bsp für drohende Gewalt:
Bsp für unwiederbringlichen Schaden:
Für die Herausgabeansprüche kommen demonstrativ die in § 382 Abs 1 ZPO genannten Sicherungsmittel in Betracht:
Ausgewählte materielle Probleme bei EV (EV, 12f)
Ausgewählte prozessuale Fragen bei EV
Einzelfälle
Micaleff v. Malta (EGMR No. 17056/06) - Neuer Zugang („new approach“)
In der E Micaleff v. Malta vom 15.10.2009, No. 17056/06, schuf der EGMR nunmehr einen neuen Zugang: Während nach seiner bisheriger Rsp Provisorialverfahren nicht (Anm: Dies war auch die ganz herrschende Ansicht in Österreich) unter Art 6 EMRK gefallen waren (Für eine Übersicht der Rsp siehe Kodek, die Anwendbarkeit von Art 6 EMRK auf Provisorialverfahren, Zak 2010/7, 8), erkannte der EGMR nunmehr, dass Art 6 EMRK auch auf Provisorialverfahren voll anwendbar sei. Nur in Ausnahmefällen könnten alle Garantien des Art 6 EMRK nicht eingehalten werden, was in etwa dann der Fall sei, wenn die Effektivität der Maßnahme von einer raschen Entscheidung abhänge.
Auch wenn dieser E eine Befangenheit eines (Berufungs-)Richters zu Grunde lag, ist der Allgemeinheit ihrer Formulierung nunmehr wohl klar der Primat der Zweiseitigkeit des Provisorialverfahrens zu entnehmen. Folglich wird es nun - auch in Österreich - eine verstärkte Begründungspflicht für einseitige Provisorialverfahren geben, dh wenn dem Gegner der gefährdeten Partei das Recht auf Anhörung vor Erlassung der EV genommen wird.