1. Ausgangslage
Jahrelang wurden bei variabel verzinsten Krediten zwischen Banken und Kreditnehmern sogenannte Zinsgleitklauseln vereinbart. Der Kreditnehmer hat dabei Zinsen in Höhe eines Referenzzinssatzes (zum Beispiel Euribor oder Libor) plus einen Zinsaufschlag (Marge) zu entrichten. Der Referenzzinssatz bildet dabei das allgemeine Zinsniveau ab, während die Marge das Ausfallsrisiko abdecken soll und darüber hinaus den „Profit“ der Banken darstellt. An den Fall, dass der Referenzzinssatz unter 0 % sinken könnte, hat beim Abschluss der Kreditverträge niemand gedacht.
Als ein Resultat der Finanzkrise verringerten sich die Referenzzinssätze jedoch so weit, dass der Referenzzinssatz EURIBOR und der Referenzzinssatz LIBOR mittlerweile negativ sind. Ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht abzusehen. Was passiert aber, wenn der negative Wert des Referenzzinssatzes höher ist als die im Kreditvertrag vereinbarte Marge? Nach dem Wortlaut der Kreditverträge müssten die Banken den Kreditnehmern in diesem Fall Negativzinsen gutschreiben.
Diesem - bis dato noch nicht eingetretenen - Fall wollten die Banken vorbauen. Die Kreditnehmer wurden in Schreiben darüber informiert, dass mit einem negativen Referenzzinssatz niemand rechnen konnte und daher eine Vertragslücke im Kreditvertrag entstanden sei. Für den Fall von rechnerischen Negativzinsen (Referenzzinssatz und Marge) wird eine Untergrenze von 0,00001 % eingezogen, damit der Zinssatz nicht negativ wird. Dieser Mindestzinssatz sei Geschäftsgrundlage der Kreditverträge und für die Bedeckung der Risiko-, Sach- und Personalkosten der Finanzinstitute notwendig.
2. Rechtliche Argumente der Banken
Bereits aus der Auslegung der Kreditverträge ergebe sich, dass eine Zinsgleitklausel nicht zu negativen Kreditzinsen führen kann. Bei richtiger Vertragsauslegung komme man zu folgendem Ergebnis, wobei zwischen zwei Arten von Zinsgleitklauseln zu unterscheiden sei: Ist ein fixer Aufschlag zum jeweils aktuellen Referenzzinssatz („absolute Berechnungsmethode“) vereinbart, stehe dem Kreditgeber als Zinssatz mindestens dieser vereinbarte Aufschlag zu. Wenn kein fixer Aufschlag ausgewiesen ist, sondern sich der vereinbarte Zinssatz entsprechend der Entwicklung des Referenzsatzes ändert („relative Berechnungsmethode“), könne der Zinssatz den Nullwert zwar erreichen, aber nicht unterschreiten.
Aus § 988 ABGB ergebe sich, dass ein Kreditvertrag bereits seinem Wesen nach ein entgeltliches Geschäft sei und daher keinen negativen Zinssatz aufweisen dürfe. Der Oberste Gerichtshof habe darüber hinaus bereits vor Jahren festgestellt, dass Sparzinsen nicht unter Null sinken können. Dies müsse nun umgekehrt auch für Kreditzinsen gelten.
3. Rechtliche Argumente des Vereins für Konsumenteninformation
Ein derartiger Ausschluss von Negativzinsen ist aus Sicht des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) nicht zulässig, vielmehr müsse nach den gängigen Kreditvereinbarungen auch eine negative Verzinsung möglich sein. Eine variable Zinsenvereinbarung, die den Zinssatz an einen Indikator bindet und dazu führen kann, dass bei negativer Entwicklung der Sollzinssatz negativ wird, widerspräche nicht dem gesetzlichen Leitbild und typischen Willen der Parteien eines Kreditvertrages. Das einseitige Einziehen einer Untergrenze für Kreditzinsen, wie es von Banken durch Schreiben an die Kreditnehmer praktiziert wurde, sei schon aufgrund des Gebotes des Zweiseitigkeit in § 6 Abs 1 Z 5 des Konsumentenschutzgesetzes rechtwidrig, weil es bei variablen Zinssätzen keine korrelierende Obergrenze gebe.
Die Zinsen auf Sparguthaben seien von jenen aus Kreditverträgen zu differenzieren. Ein negativer Zinssatz auf Spareinlagen für den Sparer ohne besonderen Hinweis wäre überraschend im Sinne des § 864 ABGB und somit unzulässig. Die Banken vergeben jedoch bei der Kreditvergabe nicht eigenes Geld an den Kreditnehmer, sondern refinanzieren die Mittel. Daher sei eine unterschiedliche Behandlung von Spar- und Kreditzinsen gerechtfertigt.
Bankwirtschaftliche Überlegungen der Kreditinstitute, die hinter den Zinsenkalkulationen stehen, seien für die Kreditnehmer nicht erkennbar und daher irrelevant.
4. Gerichtlich Entscheidungen
Gegen die einseitigen Vertragsänderungen seitens der Kreditinstitute ist der VKI für die Kreditnehmer gerichtlich vorgegangen und brachte im Auftrag des Sozialministeriums Verbandsklagen ein.
Die Gerichte erster Instanz (GZ: 27 Cg 32/15x und 57 Cg 10/15v) folgten im Wesentlichen der Argumentationslinie des VKI und entschieden, dass die einseitigen Vertragsanpassungen durch die Schreiben der Banken gesetzwidrig seien. Die Banken müssen nach der Rechtsansicht der Erstgerichte den Kreditnehmern bei entsprechender Entwicklung des zugrundeliegenden Referenzwertes auch Negativzinsen gutschreiben bzw auszahlen.
Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Wien als zweite Instanz mit der entsprechenden Klage des VKI inhaltlich nicht auseinander gesetzt, sondern diese aus formellen Gründen abgewiesen (GZ: 2 R 187/15g). Der Fall, dass der Zinssatz unter 0 % fällt und die Banken die Negativzinsen dennoch nicht gutschreiben, sei noch nicht eingetreten. Es sei daher noch kein Kreditnehmer in seinem Vermögen beeinträchtigt worden. Das Schreiben der Banken sei keine einseitige Vertragsanpassung, sondern gewissermaßen nur eine Vorwarnung der Banken. Eine Klagsführung durch den VKI sei daher noch gar nicht möglich.
Alle Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Es bleibt daher abzuwarten, wie die höchstgerichtliche Judikatur zum Thema Negativzinsen ausfallen wird. Aufgrund der erheblichen Bedeutung und Kostenintensität dieses Themas für die Kreditinstitute ist damit zu rechnen, dass das Thema der Negativzinsen die Gerichte noch länger beschäftigen wird.