1. Neue Thematik in den Immofinanz-Verfahren - Vorabentscheidungsersuchen des HG Wien
Die zahlreichen vor dem HG Wien anhängigen Verfahren gegen die ehemalige Constantia Privatbank, die Immofinanz AG & Co, sind um eine Facette reicher. So hat das Handelsgericht Wien am 12. April dieses Jahres ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet. In diesem nationalen Verfahren klagte der private Anleger A. H. die Immofinanz AG. Die Aviso Zeta AG als Rechtsnachfolgerin der Constantia Privatbank AG ist hier als Nebenintervenientin beigetreten.
2. Vorlagefragen
Das HG Wien stellte insgesamt fünf Vorlagefragen an den EuGH, wobei die ersten beiden besonderer Beachtung bedürfen. Diese ersten beiden Fragen lauteten wie folgt:
1. „Ist eine nationale Regel, die eine Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien wegen Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten gemäß der Regelungen in
- Artikel 6 und 25 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 in der Fassung Richtlinie 2008/11/EG vom 11. März 2008;
- Artikel 7, 17 und 28 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004;
- Artikel 14 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003
vorsieht, mit den Artikeln 12, 15, 16, 19 und 42 der Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 31. Januar 1977 in der geltenden Fassung vereinbar?“
2. „Sind die Bestimmungen der Artikel 12, 15, 16, insbesondere 18 und 19, sowie 42 der Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 31. Januar 1977 in der geltenden Fassung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die beinhaltet, dass eine Aktiengesellschaft im Zuge dieser in Punkt 1. genannten Haftung dem Erwerber den Erwerbspreis vergüten und die erworbenen Aktien zurücknehmen muss?“
Diese beiden Fragen zielen auf die bereits in zahlreichen Immofinanz-Verfahren hervorgebrachte Argumentation der Immofinanz-Gruppe ab, dass das nationale Verbot der Einlagenrückgewähr einem Schadenersatzanspruch der einzelnen Anleger entgegenstehen würde. Entsprechend stellt auch die erste Frage darauf ab, ob die österreichischen Normen, die eine Haftung der emittierenden Aktiengesellschaft entsprechend den europäischen Richtlinien vorsehen, mit den europäischen Bestimmungen des Verbotes der Einlagenrückgewähr vereinbar sind. Die zweite Frage richtet sich in ähnlicher Weise an die europäischen Normen, die ein solches Verbot der Einlagenrückgewähr vorsehen und erfragt, ob diese den österreichischen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen, konkret der Naturalrestitution, entgegenstehen.
3. Rechtliche Analyse
a. Verfahrensverzögerungen und mangelnde Überprüfungsmöglichkeit
Obwohl der Oberste Gerichtshof bereits in den letzten beiden Jahren zweimal ausdrücklich klargestellt hat, dass das aktienrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr nicht dem Schadenersatzanspruch der Anleger entgegensteht (30. März 2011, 7 Ob 77/10i; 15. März 2012, 6 Ob 28/12d) sehen sich nunmehr Richter am HG Wien dazu berufen, diese Frage auf die europäische Ebene zu bringen. Gemäß Artikel 267 VAEU (Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union), früher Artikel 234 EGV, sind nationale Gerichte jedenfalls berechtigt, die strittige Auslegung und Gültigkeit von gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen durch den EuGH klären zu lassen. Letztinstanzliche Gerichte sind zu einer solchen Vorlage verpflichtet. Die gegenständliche Vorgehensweise des HG Wien ist nicht unproblematisch, hat doch der OGH selbst bereits verneint, eine entsprechende Notwendigkeit zur Vorlage zu sehen. Nicht nur, dass das HG die Sichtweise des OGH damit ausheben kann, ist vielmehr davon auszugehen, dass sich durch diese Vorlage zahlreiche Verfahren weiter verzögern und Anleger noch länger auf ihr Geld warten müssen. Da gemäß § 90a GOG das Gericht nur solche Handlungen vornehmen darf, die durch die Vorabentscheidung nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten, ist davon auszugehen, dass diese Verfahren unterbrochen werden. Gegen den Vorlagebeschluss des HG Wien haben die geschädigten Anleger auch keine Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu erheben. Sie sind also de facto ohne Überprüfungsmöglichkeit der Instanzen an die Sichtweise des HG Wien gebunden, ohne die Verzögerung bekämpfen zu können. Im Durchschnitt wird mit einer Erledigungsdauer von rund 2 Jahren gerechnet werden müssen.
b. Bedeutung für die anderen Immofinanz-Verfahren
Zu beachten ist, dass das genannte Vorabentscheidungsverfahren ausschließlich gegen die Immofinanz AG läuft. Entsprechend zielt auch die erste Vorlagefrage nur auf eine Aktiengesellschaft als „Emittentin“ ab. Eine Antwort des EuGH auf diese Frage kann somit keine unmittelbare und automatische Wirkung auch gegen die Aviso Zeta AG entfalten. Im Übrigen zielen die ersten beiden Vorlagefragen lediglich auf solche Haftungen ab, welche aufgrund einer Verletzung von kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten entstehen. Es geht hier also vorrangig um Prospekthaftungsansprüche, weswegen das Ergebnis des EuGH wohl auch nicht unmittelbare Wirkung für Haftungen aufgrund einer Fehlberatung oder unterlassenen Offenlegung eines Interessenkonfliktes entsprechend dem WAG 2007 bzw. der MiFID (RL 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente) entfalten wird.