Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht

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Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht

Donnerstag, 15 Oktober, 2009

Die in § 9 Abs 2 Rechtsanwaltsordnung (RAO) verankerte Verschwiegenheitspflicht stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes dar und nimmt einen äußerst hohen Stellenwert im Rang der berufsrechtlichen Vorschriften ein. Daher muss jede Durchbrechung dieses Grundsatzes restriktiv ausgelegt und einer besonders sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Allerdings wurde die Verschwiegenheitspflicht in den letzten Jahren durch die neu eingeführten Verpflichtungen im Rahmen der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung immer mehr aufgeweicht. Obwohl die Anwalt-schaft nun schon seit mehreren Jahren gegen diese Durchbrechungen ankämpft, scheint die Verschwiegenheitspflicht als eine der wesentlichsten Säulen der Berufsausübung immer mehr an Bedeutung zu verlieren. 

 

1. Verschwiegenheitspflicht

 

Gemäß § 9 Abs 2 RAO unterliegen der Verschwiegenheitspflicht jegliche Informationen, die der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Berufstätigkeit in Erfahrung bringt oder ihm durch Akteneinsicht zur Kenntnis gelangen, und zwar unabhängig von einer formellen Vollmachts- bzw. Mandatserteilung. Dies gilt auch für die, einer Rechtsanwaltskanzlei zugehörigen Rechtsanwaltsanwärter, sowie alle sonstigen Angestellten und Hilfskräfte der Kanzlei. Nicht zulässig ist die Umgehung der Verschwiegenheitspflicht durch gerichtliche oder sonstige behördliche Maßnahmen, insbesondere dadurch, dass die Herausgabe von Schriftstücken, Bild-, Ton- oder Datenträger oder deren Beschlagnahme aufgetragen wird. Die Verschwiegenheitspflicht gilt zeitlich unbegrenzt, ist also von der Dauer des Mandats unabhängig. Ein Rechtsanwalt der seine Verschwiegenheitspflicht entweder selbst bricht oder bei anderen, hiezu verpflichteten Personen zu durchbrechen versucht, handelt folglich standeswidrig und begeht das disziplinarrechtliche Vergehen der Verletzung anwaltlicher Berufspflichten, das auch fahrlässig begangen werden kann.

 

 

2. Die neuen Berufspflichten

 

Von Seiten der USA, OECD und EU wird nun schon seit mehreren Jahren, insbesondere seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, massiver Druck auf Europas Rechtsanwälte ausgeübt. Mit Einführung der Richtlinie 2005/60/EG (sog. 3. Geldwäscherichtlinie) wurde die Berichtspflicht der Rechtsanwälte stark ausgeweitet. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte in der Rechtsanwaltsordnung in den §§ 8a bis 8f, 9, 9a und 12 RAO. Diese Bestimmungen sind bereits am 29.12.2007 in Kraft getreten. Darüber hinaus wurde eine Anpassung an die aktuellen 40 Empfehlungen der Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) zur Geldwäschebekämpfung und die 9 Sonderempfehlungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung vorgenommen. Die 3. Geld¬wäsche-Richtlinie stellte insofern einen besonderen Entwicklungssprung dar, als sie erstmal in der Bekämpfung der Geldwäsche auch ein Mittel zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung erkannte und folglich die Terrorismusfinanzierung in die Richtlinie aufnahm. Die besonderen Sorgfalts-, Identifizierungs-, Melde- und Auskunftspflichten im Rahmen der neuen Berufspflichten für Rechtsanwälte kommen überhaupt erst zum Tragen, wenn ein sog. „geldwäschegeneigtes“ Geschäft im Sinne des § 8a Abs 1 RAO vorliegt. Ist das der Fall, bestehen Pflichten zur Identitätsfeststellung und –prüfung, Informationseinholung über Zweck und Art der Geschäftsbeziehung, laufenden Überwachung der Geschäftsbeziehung, Verdachtsmeldung, Auskunft gegenüber der Behörde sowie Aufbewahrung von Belegen und Aufzeichnungen. In § 8a Abs 2 RAO wird angeordnet, dass der Rechtsanwalt angemessene und geeignete Strategien und Verfahren innerhalb seiner Kanzlei einzuführen und aufrechtzuerhalten hat, um Transaktionen, die mit Geldwäscherei (§ 165 StGB) oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) zusammenhängen, vorzubeugen und diese zu verhindern. Welche angemessenen und geeigneten Strategien und Verfahren zu ergreifen sind, ist in der RAO jedoch nicht näher definiert. Es muss der Fachkenntnis des Rechtsanwalts überlassen bleiben, die für seine Kanzleisituation angemessenen und geeigneten Strategien und Verfahren zu entwickeln und zu finden.

 

2.1 Identitätsfeststellung- und –prüfung

 

Eine Identifizierungspflicht (§ 8b RAO) der Partei und des wirtschaftlichen Eigentümers trifft den Rechtsanwalt bei Vorliegen eines geldwäschegeneigten Geschäftes, wenn eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten wird. Hier wird entweder auf ein auf gewisse Dauer angelegtes Auftragsverhältnis oder an eine Auftragssumme bei sonstigen Geschäften von mindestens € 15.000 angeknüpft. Unabhängig vom Überschreiten einer solchen Schwelle besteht die Pflicht zur Identitätsfeststellung- und –prüfung nur dann, wenn der Rechtsanwalt weiß, den Verdacht oder den berechtigten Grund zur Annahme hat, dass das Geschäft der Geldwäscherei oder der Terrorismusfinanzierung dient oder wenn der Rechtsanwalt Zweifel an der Echtheit oder Angemessenheit der erhaltenen Identitätsnachweise hat. Die Identität ist bei natürlichen Personen durch persönliche Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises und bei juristischen Personen durch Vorlage von beweiskräftigen Urkunden festzustellen.

 

2.2 Informationseinholung und Überwachung

 

Gemäß § 8b Abs 6 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, Informationen über den Zweck und die angestrebte Art der Geschäftsbeziehung einzuholen und die Geschäftsbeziehung laufend zu überwachen.

 

2.3 Verdachtsmeldepflicht

 

Wenn der Rechtsanwalt weiß, den Verdacht oder den berechtigten Grund zur Annahme hat, dass ein Geschäft der Geldwäscherei (§ 165 StGB) oder der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) dient, hat er gemäß § 8a Abs 1 RAO unverzüglich den Bundesminister für Inneres zu informieren. Diese Verpflichtung besteht allerdings nicht hinsichtlich solcher Tatsachen, die der Rechtsanwalt von einer oder über eine Partei im Rahmen der Rechtsberatung oder im Zusammenhang mit ihrer Vertretung vor einem Gericht oder einer diesem vorgeschalteten Behörde oder Staatsanwaltschaft erfahren hat, es sei denn, dass die Partei für den Rechtsanwalt erkennbar die Rechtsberatung offenkundig zum Zweck der Geldwäscherei oder Terrorismusfinanzierung in Anspruch nimmt. Die europäischen Anwaltschaften und der CCBE (Rat der europäischen Anwaltschaften) haben sich von Anfang an gegen diesen massiven Eingriff in die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gewehrt. Mit diesem Eingriff werde das Recht des Bürgers auf Inanspruchnahme einer unabhängigen anwaltlichen Vertretung und Beratung und damit das Recht auf ein faires Verfahren iSd. Art 6 EMRK sowie das Rechts auf Achtung des Privatlebens iSd. Art 8 EMRK verletzt. Die Proteste blieben allerdings erfolglos.

 

2.4 Verbot des „tipping off“

 

Wurde die Verdachtsmeldepflicht ausgelöst, so ist es dem Rechtsanwalt gemäß § 8c Abs. 1a RAO nicht gestattet, die betroffene Partei oder Dritte von der Verdachtsmeldung oder einer Meldung and das Bundesministerium für Inneres zu informieren (Verbot des „tipping off“).

 

2.5 Aufbewahrungspflichten

 

Nachdem die Vertretung aufgehört hat, ist der Rechtsanwalt gemäß § 12 RAO verpflichtet, auf Verlangen der Partei die ihr gehörigen Urkunden und Akten im Original auszuhändigen. Er ist jedoch niemals verpflichtet Schriftenentwürfe, Briefe der Partei an den Rechtsanwalt und andere Handakten, sowie Nachweise über geleistete und ihm noch nicht rückersetzte Zahlungen der Partei auszufolgen. Diese Verpflichtungen sowie die Verbindlichkeit zur Aufbewahrung der Akten erlöschen nach 5 Jahren, gerechnet vom Zeitpunkt, als die Vertretung aufgehört hat.

 

 

3. Vereinfachte und verstärkte Sorgfaltspflichten

 

Neben der standardmäßigen Sorgfaltspflicht gibt es auch Fälle von vereinfachter und verstärkter Sorgfaltspflicht. Eine vereinfachte Sorgfaltspflicht gilt für in § 8e RAO definierte Kategorien von Parteien. Dazu zählen bestimmte Behörden und öffentliche Einrichtungen, die als Kunden mit geringem Risiko der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung betrachtet werden können. Für sie entfallen die in § 8b RAO vorgesehenen Pflichten. Der vereinfachte Sorgfaltsmaßstab gilt allerdings nicht in jenen Fällen, in denen der Rechtsanwalt den begründeten Verdacht hat, dass das Geschäft der Geldwäscherei oder Terrorismus-finanzierung dient. Verstärkte Sorgfaltspflichten gelten bei Ferngeschäften, bei politisch exponierten Personen sowie in allen Fällen mit erhöhtem Risiko.

 

 

4. Conclusio

 

Das Vertrauen zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Klienten ist einerseits die unverzichtbare Basis für ein funktionierendes Rechtssystem und stellt andererseits auch einen wesentlichen Teil der wirtschaftlich wie politisch erforderlichen Unabhängigkeit des Anwaltsstandes dar. Doch die im Zuge der Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung neu eingeführten Berufspflichten der Rechtsanwälte drohen nun das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient zu untergraben und eine unabhängige Berufsausübung unmöglich zu machen. Rechtsanwälte in ganz Europa befinden sich derzeit in einer sog. „Sandwich-Position“ im Hinblick auf ihre Dokumentations- und Meldepflichten einerseits und der Verletzung vom Berufsgeheimnis andererseits. Es ist daher umso verständlicher, dass die Österreichische Rechtsanwaltskammer die neu eingeführten Berufspflichten als rechtsstaatlich höchst bedenklich einstuft, ohne dabei die Wichtigkeit der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung schmälern zu wollen. Dennoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass mit den neuen Berufspflichten eine Überreglementierung eines ganzen Berufsstandes geschaffen wurde und man muss sich die Frage stellen, inwieweit es erforderlich ist, das Verhalten von Rechtsanwälten zu kriminalisieren, nur weil sie verpflichtet sind, die Privatsphäre ihrer Klienten zu schützen.