Die Haftung der Ärzte für Aufklärungsfehler
Die Haftung der Ärzte für Aufklärungsfehler
Der ärztliche Heileingriff stellt dogmatisch eine Körperverletzung dar, nämlich nach hM tatbestandsmäßig (straf- und zivilrechtlich) eine rechtswidrige Körperverletzung, wenn er zu einem Schaden geführt hat und nicht durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist. Wirksam ist eine Einwilligung (Rechtsgeschäft) zur Operation nur dann, wenn der Arzt den Patienten davor hinreichend über die Gefahren aufgeklärt hat. Die Einwilligung ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Arzt die anerkannten medizinischen Maßstäbe (lege artis) eingehalten hat, da der Arzt dann trotzdem aufgrund einer Aufklärungspflichtverletzung haftet („Aufklärungsfehler“). Behandelt der Arzt nicht lege artis, so haftet er bei Eintritt eines Schadens wie bei „normaler“ Körperverletzung („Kunstfehler = Behandlungsfehler“).
2. Körperverletzung und Schadenersatzanspruch
Die heute hM sieht in jedem ärztlichen Heileingriff (auch wenn lege artis durchgeführt) tatbestandsmäßig eine Körperverletzung (strafrechtlich nach § 83 Abs 1 StGB und zivilrechtlich als Grundlage eines Schadenersatzanspruches nach § 1325 ABGB), wenn er zu einem Schaden führt (= Gesundheitsbeeinträchtigung, Verletzung der körperlichen Integrität). Die Einwilligung des Patienten in eine ärztliche Behandlung rechtfertigt den Eingriff. Vom Erfolg her gelungene Eingriffe (auch ohne Einwilligung) stellen keine Körperverletzung dar (aber: Da der Eingriff ohne die erforderliche Bewilligung erfolgte, kann zB wegen der Operationsschmerzen Schadenersatz nach § 1325 ABGB verlangt werden). Selbst wenn kein Schaden eintritt, so stellt dies immer noch mangels Einwilligung einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar, welche gemäß § 110 Abs 1 StGB („Eigenmächtige Heilbehandlung“) strafbar ist. Bei Schaden und mangelnder Einwilligung können sohin sowohl § 83 Abs 1 StGB (Strafdrohung bis zu 1 Jahr) als auch § 110 StGB (Strafdrohung bis zu 6 Monaten; Privatanklagedelikt) erfüllt sein („Idealkonkurrenz“). § 110 StGB tritt in diesem Fall zurück.
3. Einwilligung in die Behandlung
Fehlt die erforderliche Einwilligung, so haftet der Arzt gem § 1325 ABGB trotz einer Behandlung lege artis. Das Einwilligungserfordernis erfolgt aus dem Recht auf körperliche Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht. Die Einwilligung rechtfertigt den Eingriff in die körperliche Integrität. Den durch die Einwilligung entstehenden Rechtfertigungsgrund hat zunächst der Vertragspartner (zB Krankenhausträger). Aus dieser Einwilligung ist sodann auch der Rechtfertigungsgrund für den den Patienten erlaubterweise behandelnden, kompetenten Ärzte abzuleiten.
Eine Einwilligung ist zivilrechtlich wirksam, wenn der Patient im gebotenen Ausmaß aufgeklärt wurde. Bei unterlassener bzw unzureichender Aufklärung ist die Einwilligung trotzdem wirksam, wenn der Arzt nachweisen kann, dass der Patient bei ausreichender Aufklärung ebenfalls eingewilligt hätte („hypothetischer Parteiwille“).
4. Haftung
4.1. Exkurs: Haftung für Kunstfehler
a) Allgemeines
Der Arzt schuldet dem Patienten keinen (Heilungs-)Erfolg (= Wiederherstellung der Gesundheit), jedoch den Einsatz seines fachlichen Wissens und Könnens nach den Regeln der ärztlichen (= medizinischen) Kunst (= zielstrebige Sorgfalt des § 1299 ABGB). Ein objektiver Sorgfaltsverstoß liegt vor, wenn (i) die gewählte Maßnahme hinter dem in Fachkreisen (Turnusarzt, praktischer Arzt, Facharzt [Sorgfaltsmaßstab wächst mit Ausbildung]) anerkannten Standard zurückbleibt oder (ii) der Arzt das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer (Fach-)Ärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt. Eine im Krankenhaus übliche aber objektiv unzureichende oder nicht zeitgemäße Praxis entlastet nicht. Der Arzt handelt nicht sorgfaltswidrig, wenn er eine Behandlungsmethode wählt, die von einer anerkannten Schule medizinischer Wissenschaft vertreten wird.
b) Problem: Rechtmäßiges Alternativverhalten
Wenn der Schaden auch bei einem lege artis Verhalten eingetreten wäre, müsste nach den allgemeinen Regeln des rechtmäßigen Alternativverhaltens eine Ersatzpflicht verneint werden. Nach der hL (Bydlinski, Harrer, Koziol) wird Schadensteilung vertreten. Nach der hRsp hat der Arzt nachzuweisen, dass sein Verhalten mit größter Wahrscheinlichkeit für die Folgen unwesentlich war - dh er haftet auch für Schäden, in welchen eine Verursachung nicht wahrscheinlich ist.
c) Übernahmepflicht?
Der Arzt ist - wie der RA - nicht verpflichtet, eine Behandlung zu übernehmen. Ebenso wie der RA muss der Arzt jedoch gleich entscheiden, ob er eine Betreuung übernimmt, widrigenfalls er Schadenersatzpflichtig wird. Zum Teil wird - anders als beim RA - eine Berufspflicht zur Übernahme erbetener Behandlungen angenommen. Dies aber nur, wenn bereits ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und dem Patienten begründet wurde, und dieses fortgesetzt werden kann. .
4.2. Haftung für Aufklärungsfehler
a) Kunstfehler oder Aufklärungsfehler?
Da der Beweis, ob eine Behandlung lege artis war, oftmals schwer fällt, ist es in der Praxis oftmals einfacher, anstatt eines Kunstfehlers, einen Aufklärungsfehler geltend zu machen. Der Vorteil hierbei liegt insbesondere in der beim Arzt liegenden Beweislast.
b) Umfang
Der genaue Umfang der Aufklärungspflicht ist strittig. Vertreter des Selbstbestimmungsrechts befürworten naturgemäß eine rigorose Aufklärungspflicht. Die Vertreter der gesundheitsschonenden Behandlung, sowie die ÖRsp räumen den Ärzten ein größeres Ermessen ein.
c) Die österreichische Rechtsprechung - Beispiele
Wann und wie viel an Aufklärung?
Nach dem OGH darf der Umfang der Aufklärungspflicht nicht überspannt werden. Der Umfang ist in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Patienten abzugrenzen. Dh insbesondere Ängstlichkeit, Todesangst, sowie Depressionen sind zu berücksichtigen und ist erst in zweiter Linie auf das Selbstbestimmungsrecht zu achten. Weiters sind die seelische Verfassung, die Aufnahmebereitschaft, und Vorkenntnisse und Erfahrungsstand des Patienten zu berücksichtigen. Der Arzt hat durch ein Gespräch mit dem Patienten herauszufinden, wie weit eine Aufklärung gewünscht und verkraftbar ist. Eine Aufklärung kann in Grenzfällen (einzelfallbezogen) auch völlig zu unterlassen sein. Auf die Risiken einer Unterlassung der Operation oder Behandlung ist jedoch stets hinzuweisen. Ebenso auf die Gefahr eines Krankentransports und die Nichtverlegung in eine andere Anstalt.
Typische Risiken
Auf typische Risiken einer Operation auch ganz unabhängig von prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit (dh auch bei Seltenheit des Eintritts) stets hinzuweisen, wenn das Risiko von einiger Erheblichkeit ist und dadurch geeignet ist, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Auf nicht typische, äußerst seltene Risiken ist nicht aufmerksam zu machen. Dem Patienten soll die Aufklärung nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden. Aus dem Häufigkeitsgrad lassen sich keine allgemeinen Grundsätze zur Aufklärung ableiten. Auch hier entscheidet verantwortungsvolles Ermessen und kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Nach der neuern Jud ist auf eine Komplikationsmöglichkeit, die bei jeder 400. Operation (Risiko 0,25%) auftreten kann, hinzuweisen.
Zweite, gleichartige Operation
Eine weitere Aufklärung vor einer zweiten, gleichartigen Operation ist nicht erforderlich, wenn das Risiko das gleiche ist und davon ausgegangen werden kann, dass dem Patienten die vorangegangene Aufklärung noch hinreichend in Erinnerung ist.
Alternative Behandlungsmöglichkeiten
Der Arzt muss auf alternative Behandlungsmethoden hinweisen, wenn diese ein geringeres Risiko haben, geringere Schmerzen verursachen oder Erfolg versprechender sind. Dies aber nur, wenn diese Methoden schon praktisch angewendet werden.
Kosmetische Operationen
Die Aufklärung muss bei kosmetischen Operationen besonders umfassend sein. Als Grundsatz gilt, je unnötiger die Behandlung, desto intensiver ist die Aufklärungspflicht.
Beim Zahnarzt
Bei Zahnextraktionen dürfen die Aufklärungspflichten über mögliche Schmerzen nicht überspannt werden. Auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Nerv geschädigt werden kann, ist jedoch hinzuweisen.
Medikamente
Nicht über jede im Beipackzettel erwähnte Nebenwirkung ist aufzuklären, sondern nur über die in Frage kommenden, dh für den Arzt vorhersehbaren.
Fruchtwasseruntersuchung
Der Arzt hat die schwangere Frau bei entsprechender (insb altersmäßiger) Induktion auf die Möglichkeit einer Fruchtwasseruntersuchung hinzuweisen. Kommt für die Schwangere von vornhinein eine Abtreibung nicht in Betracht, besteht keine Aufklärungspflicht.
Wrongful Birth
Dies ist die unerwünschte Geburt eines Kindes und die damit verbundene Frage, ob die Eltern für den entstehenden Unterhaltsaufwand von jenen Personen Schadenersatz fordern können, welche die unerwünschte Geburt zu verantworten haben.
Der OGH hat in seiner bisherigen Rsp die Haftung eines Arztes wegen nicht verhinderter Geburt eines schwer behinderten Kindes bejaht - allerdings nur für den behinderungsbedingten Mehraufwand. Vor kurzem hat der OGH wiederholt den Ersatz des gesamten Unterhaltsaufwandes für ein behindertes Kind bejaht, weil der Arzt die Mutter nicht ausreichend über die Risiken der Schwangerschaft aufgeklärt hatte. In seiner bisher letzten Entscheidung wiederholt der OGH, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes, kein Schaden sei. Die zu ersetzenden Unterhaltsaufwendungen stehen der Mutter als Vertragspartnerin aber auch dem unterhaltspflichtigen Vater aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu.
Zeitpunkt und Adressat der Aufklärung
Die Aufklärung hat rechtzeitig zu erfolgen. Der Patient muss Zeit haben, die Pro- und Contras abzuwägen und allenfalls mit Angehörigen zu erörtern. Dem Patienten muss eine angemessene Überlegungsfrist offen bleiben, deren Dauer von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Dringlichkeit der Behandlung, abhängt. Nach dem OGH ist auch die Aufklärung am Vortag der Behandlung rechtzeitig, wenn der Turnusarzt unter Verwendung eines ausführlichen Informationsblattes „Punkt für Punkt“ die Risiken persönlich erörtert. . Hingegen ist eine Aufklärung vor der Tür des Operationssaals idR verspätet. Das Aufklärungsgespräch hat mit dem (erwachsenen) Patienten zu erfolgen und kann nicht durch ein Gespräch mit Angehörigen ersetzt werden. Der Arzt hingegen kann sich beim Gespräch vertreten lassen Bei einer Arbeitsteilung mehrerer Ärzte hat eine stufenweise Aufklärung zu erfolgen, dh die Aufklärung muss nicht immer wiederholt werden. Der später behandelnde Arzt muss sich aber vergewissern, ob bzw wieweit schon aufgeklärt wurde. Wird eine neue Methode angewandt, ist dies mitzuteilen. Nach der hL (Harrer) hingegen nicht, wie oft ein solcher neuer Eingriff schon erfolgte.
5. Beweislast
5.1. Exkurs: Beweislast bei Kunstfehlern
Die Beweislast, dass ein Kunstfehler unterlaufen ist und dieser für den Schaden kausal war, trägt der Patient. Nach dem OGH werden hier jedoch geringe Anforderungen an den Kausalitätsbeweis gestellt, sodass eine Wahrscheinlichkeit bzw ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Nachweis ausreichend ist.
5.2. Beweislast bei Aufklärungsfehlern
Nach der neueren OGH-Judikatur muss der Arzt/Krankenhausträger - sowohl im vertraglichen als auch im deliktischen Bereich - den Nachweis führen, dass der Patient ausreichend aufgeklärt wurde und dass der Patient auch bei entsprechender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte. Der OGH legt hierbei strenge Anforderungen an den Nachweis.
5.3. Beweislast bei Zahnärzten
Dort wo die mit der ärztlichen Tätigkeit verbundenen Risiken nicht bestehen, dh idR bei rein handwerklichen Tätigkeiten von Ärzten (zB korrekte Erstellung eines Kardiogramms, Anfertigung einer Schuheinlage, einer Beinprothese, eines Labortests) und von Zahnärzten (Plombieren, Anfertigen von Brücken) liegt idR eine Erfolgsverbindlichkeit des Arztes und somit ein Werkvertrag vor. Dies führt zu einer Beweislastumkehr nach § 1298, wonach der Zahnarzt zu beweisen hat, dass er die nach § 1299 ABGB gebotene Sorgfalt eingehalten hat.
6. Haftungsverzicht
Ein Haftungsverzicht auf grobes Verschulden ist nach den allgemeinen Regeln nichtig (§ 6 Abs 1 Z 9 KSchG). Ein Verzicht auf die Aufklärung ist im Gegensatz dazu zulässig.
7. Dokumentationspflicht
Gemäß § 51 ÄrzteG ist der Arzt verpflichtet, Aufzeichnungen über das Aufklärungsgespräch und die Behandlung am Ende jedes einzelnen Behandlungsabschnitts zu führen. Der Verstoß gegen die Dokumentationspflicht über die erfolgte Aufklärung führt jedoch nach dem OGH nicht zu einer Schadenersatzhaftung (dh zur Vermutung eines Behandlungsfehlers), sondern begründet die Vermutung, dass die Aufklärung nicht erfolgte und schafft damit eine Beweiserleichterung für den Patienten mangels Vorhandenseins von Aufzeichnungen.