Die Zurechnung des Vertriebspartners zur Bank – Neueste Rsp des OGH

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Gericht

Die Zurechnung des Vertriebspartners zur Bank – Neueste Rsp des OGH

Dienstag, 11 Februar, 2014


Was tun, wenn bei der Geldanlage etwas schief geht? Wer haftet für Beratungsfehler? Der OGH hat nunmehr in sechs Entscheidungen erkannt, dass selbst die Depotbank des Kunden für Fehlberatungen ihrer Vertriebspartner zur Verantwortung gezogen werden kann.

1.   Ausgangspunkt – Grundsätzlich keine Haftung der Depotbank

1.1 Keine Haftung der reinen Depotbank (4 Ob 50/11y)

In der Rechtsprechung des OGH ist anerkannt, dass das reine Depotgeschäft (§ 1 Abs 1 Z 5 BWG) mangels Nennung in § 11 Abs 1 WAG 1996 keine Dienstleistung darstellt, die den Wohlverhaltenspflichten des WAG 1996 (§§ 11 ff) unterliegt. Anderes gilt, wenn die Bank nicht nur Depotbank ist, darüber hinaus auch Effektengeschäfte für den Kunden ausführt (4 Ob 50/11y; 8 Ob 104/12w). Im Gegensatz dazu sind die Verwahrung und Verwaltung von Finanzinstrumenten für Rechnung von Kunden, einschließlich der Depotverwahrung, als Wertpapiernebendienstleistungen ausdrücklich in § 1 Z 3 lit a WAG 2007 genannt.

1.2 Pflicht der gleichzeitigen Depot- und Effektenbank zur Aufklärung über Provisionen (8 Ob 104/12w; 6 Ob 110/07f)

Wird die Bank gleichzeitig als Depot- und Effektenbank (nach dem WAG 2007 auch alleine als Depotbank) tätig, trifft sie vor allem die Pflicht zur Aufklärung über dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen („WPDLU“) gewährte Provisionen. Das WPDLU gerät durch die gewährten umsatzabhängigen Provisionen in einen Interessenkonflikt, da das WPDLU verstärkt in Versuchung kommen kann, die risikoreicheren Produkte der Depotbank vorrangig zu vertreiben. Mit ihren Provisionen gefährdet die Depotbank sohin das Kundeninteresse, da die Provisionen für das WPDLU einen Anreiz schaffen können, auch bei weniger risikofreudigen Anlegern in unzulässiger Weise das Risiko dieses provisionierten Wertpapiers zugunsten der gewährten Provision und sohin zu Lasten des Kunden in Kauf zu nehmen (vgl 8 Ob 104/12w mwN auf 4 Ob 50/11y und 6 Ob 110/07f).
 

2.   Zurechnung des WPDLU zur Bank

2.1 Ausgangspunkt: Grundsätzlich keine Beratungspflicht der Depot- und Effektenbank – E 1 Ob 48/12h1

Eine eigenständige Beratungspflicht neben dem WPDLU trifft die Depot- und/oder Effektenbank nach stRsp im Allgemeinen nicht. In der E 1 Ob 48/12h vom 13.12.2012 hält der OGH mit Verweis auf 4 Ob 50/11y und 10 Ob 69/11m ausdrücklich fest, dass grundsätzlich nur das kundennähere WPDLU zur anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet sei, „außer es lägen konkrete Anhaltspunkte oder sogar positives Wissen auf Seiten der (Depot-)Bank vor, dass dieses Unternehmen seinen Pflichten nicht nachgekommen sei.“ In diesem Fall muss sich die Bank das Verhalten des WPDLUs gemäß § 1313a ABGB zurechnen lassen. Diese Ausnahmehaftung ist auch in der Literatur nicht umstritten.

2.2 E 4 Ob 129/12t2 - Haftung für Vertriebspartner

In der E 4 Ob 129/12t erweitert der OGH den Grundsatz aus der E 1 Ob 48/12h dahingehend, dass die Bank nur dann auf eine einwandfreie Beratung durch das (kundennähere) WPDLU vertrauen darf, wenn dieses „tatsächlich unabhängig von der Bank agiert“. Ein solches unabhängiges Agieren liege gerade dann nicht vor, wenn das WPDLU ständig mit der Vermittlung von bestimmten Anlageprodukten betraut ist, da dadurch ein wirtschaftliches Naheverhältnis entstehe, welches mit der regelmäßig produkt- und umsatzabhängigen Provision die Gefahr begründe, dass der Vermittler nicht mehr ausschließlich oder doch überwiegend im Interesse des Kunden tätig wird, sondern auch andere Erwägungen - insbesondere die Maximierung des eigenen Gewinns - in seine Tätigkeit einfließen lasse.

In Übereinstimmung mit der Rechtslage in Deutschland kommt der OGH sodann zu dem bemerkenswerten Schluss, dass eine wirtschaftliche Nahebeziehung, die das Vertrauen der Bank auf eine einwandfreie Beratung durch das (kundennähere) WPDLU ausschließt, schon immer schon dann vorliegt, wenn das WPDLU als „Vertriebspartner“ ständig mit der Vermittlung der Anlage betraut und so in die Interessenverfolgung der Bank eingebunden ist.

2.3 E 8 Ob 104/12w3

Der OGH bestätigt seinen Rechtssatz aus der E 4 Ob 129/12t, wenn auch indirekt, in der E 8 Ob 104/12w

2.4 E 2 Ob 24/13p4 – Zusätzliche Umstände (E gegen die Aviso Zeta AG betreffend IF/IE)

In der E 2 Ob 24/13p wendet der OGH erstmals den in der E 4 Ob 129/12t geschaffenen Rechtssatz in einem Verfahren gegen die Aviso Zeta AG betreffend eine Fehlberatung zu Immofinanz und Immoeast an. Der OGH vermeidet geschickt ein Eingehen auf die Kritik aus der Lehre an der E 4 Ob 129/12t, indem er für die erforderliche wirtschaftliche Nahebeziehung nicht nur die Vertriebspartnerschaft (in diesem Fall zum AWD), sondern auch zusätzliche Kriterien feststellt, aufgrund derer die Bank befürchten musste, dass das WPDLU nicht mehr ausschließlich oder doch überwiegend im Kundeninteresse tätig wird, sondern vielmehr vorrangig die Interessen der Bank bevorzugt. So stellt der OGH beispielsweise ein „eminentes Interesse“ der Bank am Vertrieb der Immofinanz- und Immoeastaktien fest. Dies aufgrund der engen personellen Verflechtung der Bank mit den Emittentinnen sowie des Umstandes, dass die Bank den Emittentinnen auch das Personal zur Verfügung stellte. Nach den Feststellungen des OGH „instrumentalisierte“ die Bank das WPDLU, indem sie diesem als „wichtige(n) Vertriebspartner“ ihre eigenen Formulare „für den Depoteröffnungsantrag und den Kaufauftrag“ sowie  „das Informationsmaterial für Kunden“ zur Verfügung stellte. Darüber hinaus hielt die Bank „auch Produktpräsentationen für seine Mitarbeiter“ und hatte sie „das Mündelsicherheitsgutachten in Auftrag gegeben“, welches das WPDLU sodann den Kunden zeigte.

Nach Ansicht des OGH durfte sich die (kundenfernere) Bank unter diesen Umständen nicht darauf verlassen, dass die Aufklärung der Kunden durch das (kundennähere) WPDLU sachgerecht erfolgten wird Die Bank musste vielmehr damit rechnen, dass das WPDLU als verlängerter Arm der Bank in Bezug auf die Immofinanz- und Immoeastaktie vorrangig ihre Interessen - dh den Vertrieb der Immofinanz- und Immoeastaktie - verfolgen und damit nicht mehr ausschließlich oder doch überwiegend im Kundeninteresse tätig wird.

2.5 E 10 Ob 34/13t5 - „Zurechnungsstaffel“ I

In der nächsten E 10 Ob 34/13t weist der OGH sodann die ao Revision der Bank unter Verweis auf seine mittlerweile stRsp zurück. Als obiter dictum führt der OGH aus, dass die Ansicht des OLG Wien zur GZ 1 R 25/13y, wonach auch eine Fehlberatung des (mittelbaren) WPDLU, welches unter dem Haftungsdach des Vertriebspartners der Bank steht, im Sinne einer „Zurechnungs-Staffel“ der Bank zuzurechnen sei, „vertretbar und nicht korrekturbedürftig“ sei. Der OGH begründet dies damit, dass der mittelbare Berater in die Interessenverfolgung der Bank eingebunden war, wobei die unmittelbare Vertriebspartnerin der Bank als Bindeglied zwischen der Bank und den mittelbaren Vertriebspartnern fungierte.

2.6 E 9 Ob 46/13z6 - „Zurechnungsstaffel“ II

In der aktuellsten E 9 Ob 46/13z - Verweis auf die E 10 Ob 34/13t - weist der OGH ebenfalls eine ao Revision der Bank zurück. Hier bestätigt der OGH in einem obiter dictum die vorangegangene E 10 Ob 34/13t und die „Zurechnungsstaffel“ ausdrücklich. Der OGH erkennt ebenso, dass es nicht unvertretbar sei, eine „wirtschaftliche Nahebeziehung“ zwischen dem Vertriebspartner und der Bank dann anzunehmen, wenn die Bank dem Vertriebspartner Informationsmaterial, Antragsunterlagen und sonstige für den Vertragsabschluss mit dem Kunden wesentliche Dokumente zur Verfügung stellt.
 

3. Rechtssätze

Folglich hat der OGH innerhalb eines Zeitraums von weniger als einem Jahr in sechs Entscheidungen die Frage der Zurechnung des WPDLU zur Bank vollkommen reformiert. Zusammengefasst sind die folgenden Rechtssätze ergangen:

  • Das kundenfernere Unternehmen (die Bank) ist dann zur anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet, wenn konkrete Anhaltspunkte oder sogar positives Wissen auf ihrer Seite vorliegen, dass das kundenfernere Unternehmen (der Berater) seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. (E 1 Ob 48/12h; 4 Ob 50/11y; 10 Ob 69/11m)
  • Die Bank darf nur dann auf eine einwandfreie Beratung durch den Berater vertrauen, wenn dieser tatsächlich unabhängig von der Bank agiert. (E 4 Ob 129/12t)
  • Eine wirtschaftliche Nahebeziehung, die das Vertrauen der Bank auf eine einwandfreie Beratung durch den Berater ausschließt, liegt immer schon dann vor, wenn der Berater als „Vertriebspartner“ ständig mit der Vermittlung der Anlage betraut und so in die Interessenverfolgung der Bank eingebunden ist. In diesem Fall giert der Berater nicht unabhängig von der Bank. (E 4 Ob 129/12t)
  • Eine „wirtschaftliche Nahebeziehung“ liegt insbesondere auch dann vor, wenn die Bank dem Vertriebspartner Informationsmaterial, Antragsunterlagen und sonstige für den Vertragsabschluss mit dem Kunden wesentliche Dokumente zur Verfügung stellt. (E 9 Ob 46/13z)
  • Eine Bank darf sich umso mehr nicht darauf verlassen, dass die Aufklärung der Kunden durch den Berater sachgerecht erfolgt, wenn die Bank (aufgrund einer engen personellen Verflechtung mit den Emittenten) ein eminentes Interesse am Vertrieb dieser emittierten Wertpapiere hat und die Bank den Berater als wichtigen Vertriebspartner mit eigenen Formularen - wie dem Depoteröffnungsantrag und dem Kaufauftrag -, mit Informationsmaterial für die Kunden, einem von der Bank hinsichtlich dieser Wertpapiere eigenes in Auftrag gegebenen Mündelsicherheitsgutachten ausstattet sowie eigene Produktpräsentationen abhält und den Berater so für den Vertrieb dieser Wertpapiere instrumentalisiert. (E 2 Ob 24/13p)
  • Eine Fehlberatung des (mittelbaren) Beraters, welcher unter dem Haftungsdach des zwischengeschalteten Vertriebspartners der Bank steht, ist der Bank im Sinne einer „Zurechnungs-Staffel“ zuzurechnen. (E 10 Ob 34/13t; E 9 Ob 46/13z)


1 13.12.2012.

2 17.12.2012.

3 24.1.2013.

4 17.6.2013.

5 4.11.2013.

6 29.10.2013.