„Piercing the Corporate Veil“ – die Durchgriffshaftung nach US-amerikanischem Recht im Vergleich zum Österreichischen Recht
„Piercing the Corporate Veil“ – die Durchgriffshaftung nach US-amerikanischem Recht im Vergleich zum Österreichischen Recht
1. Durchgriffshaftung nach Österreichischem Recht
Eine Legaldefinition zur gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung fehlt in der lex sripta, denn im österreichischen und deutschen Gesellschaftsrecht gilt die strikte Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter (sog Trennungsprinzip; § 61 Abs 2 GmbHG bzw §§ 1, 48 AktG). Die Durchgriffshaftung ist die persönliche und unmittelbare Haftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaftsgläubiger bei Verletzung von Gläubigerschutzgesetzen (etwa § 156 StGB oder § 69 IO), bei sittenwidriger Schädigung, bei existenzvernichtendem Eingriff, bei faktischer Geschäftsführung, bei qualifizierter Unterkapitalisierung und bei der Vermischung von Gesellschafts- mit Gesellschaftervermögen.
1.1. Beispiel eines Durchgriffs anhand OGH vom 29.4.2004, 6 Ob 313/03b
Hier ging es um die Haftung von drei Gesellschaftern einer insolvent gewordenen GmbH. Alle drei Gesellschafter waren öffentlich-rechtliche Körperschaften (Tourismusverbände). Durch die Gründung der GmbH und die Auslagerung öffentlicher Aufgaben wurden Gläubigerschutzbestimmungen umgangen. Weiters lag eine faktische Geschäftsführung vor und die Gesellschafter träfe eine Konkursabwendungspflicht. Die drei Gesellschafter nahmen den Rücktritt des Geschäftsführers zum Anlass, die Zahlung ihrer Subventionsbeiträge an die a priori nicht lebensfähige GmbH einzustellen, wodurch diese in die Zahlungsunfähigkeit geschickt wurde.
2. Durchgriffshaftung nach US-amerikanischem Recht
Auch nach US-amerikanischem Gesellschaftsrecht ist die Gesellschaft eine selbstständige Körperschaft mit Rechtspersönlichkeit und haftet nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Eine Durchgriffshaftung kann jedoch dann erfolgen, wenn etwa ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte in den USA durch eine amerikanische Tochtergesellschaft betreibt. Der Durchgriff ist im amerikanischen Recht, wie auch in Österreich und Deutschland, selten und Richter sind vorsichtig, bevor sie den „gesellschaftlichen Schleier“ durchstoßen. Eine Vielzahl von Entscheidungen lässt diesen Rechtsbereich unüberschaubar und komplex wirken, zumal auch die meisten US-Staaten keine klaren Regelungen zur Durchgriffshaftung haben und darüber hinaus auch kein Bundesrecht existiert.
2.1. „Totality of circumstances tests“
Grundsätzlich führen amerikanische Gerichte sog „Tests“ (samt Katalog von Durchgriffskriterien) durch, um festzustellen, ob ein Haftungsdurchgriff in Frage kommt:
• Alter Ego Doctrine: Ein Gesellschafter haftet für alle Verbindlichkeiten der corporation, wenn er die rechtliche Eigenständigkeit der Gesellschaft nicht respektiert und die Gesellschaft wie ein „Alter Ego“ des Gesellschafters behandelt wird.
• Instrumentality Doctrine: Es wird hiernach gefordert, dass eine exzessive Kontrollausübung (absolutes Dominieren von Finanzen, Politik und Praktiken), ungesetzliches und ungerechtes Verhalten (etwa Gründung einer Tochtergesellschaft, um die Muttergesellschaft vor Schadensersatzansprüchen abzuschirmen; Entzug von Vermögen [asset stripping]), und ein Kausalzusammenhang zwischen dem eingeklagten Schaden und dem Verhalten der Beklagten vorliegen.
• Identity Doctrine und Agency Doctrine: Diese Durchgriffstests werdenvon den zwei oben genannten mitumfasst. Die Identity-Fälle ähneln den Instrumentality- und den Alter-Ego-Fällen, stellen aber stärker auf die wirtschaftliche Integration der verbundenen Unternehmen ab. Bei Bestehen einer agency-Beziehung geht es primär um Konzernhaftungsrecht. Es bedarf eines hohen Maßes an Kontrolle.
3. Conclusio
Wird eine Durchgriffshaltung vom Richter bejaht, erfolgt diese in der Regel nur gegen jene Gesellschafter, die aktiv an der Geschäftsführung beteiligt sind. Passive Gesellschafter können einer Haftung entgehen, wenn sie keine Kenntnis von den haftungsbegründenden Faktoren hatten. Um „veil piercing“ zu vermeiden, sollten Gesellschafter beim Handeln für die Gesellschaft erkennbar als solcher auftreten, das Gesellschaftskapital von ihrem privaten Vermögen getrennt halten und Positionen bei Mutter- und Tochtergesellschaften unterschiedlich besetzen. Jede Gesellschaft sollte sein eigenes Kapital haben. Auch ein Eingreifen in das Tagesgeschäft der Tochtergesellschaft durch die Mutter sollte vermieden werden.
- Mag. Philip Raffling -
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