Sittenwidrige Bedingungen in letztwilligen Verfügungen und in Stiftunserklärungen

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Sittenwidrige Bedingungen in letztwilligen Verfügungen und in Stiftunserklärungen

Montag, 4 Juni, 2012

1. Die guten Sitten des § 879 ABGB und der § 700 ABGB

 

Ein Stifter kann in der Stiftungserklärung die Einsetzung von Begünstigten, wie ein Erblasser die Einsetzung von Erben oder Legataren, von Bedingungen abhängig machen. Diese Freiheit des Stifters, durch Bedingungen Anreize zu schaffen, um einen Begünstigten zu einen bestimmten Verhalten – oder auch zu einem Unterlassen – zu bewegen, ist durch die guten Sitten gemäß § 879 ABGB beschränkt. Bei den guten Sitten handelt es sich um ungeschriebenes Recht, welches aus den grundlegenden Wertungen der Rechtsordnung – damit auch aus den Grundrechten – zu ermitteln ist. Über § 16 ABGB strahlen im Besonderen die Grundrechte betreffend den Persönlichkeitsschutz auf privatrechtlich Rechtsverhältnisse aus. Dazu gehört unter anderem das Grundrecht auf Freiheit des Erwerb und der Wohnsitznahme (Art 6 StGG, Art 4 EMRK), das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art 14 STGG, Art 6 EMRK), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) und das Recht eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen (Art 12 EMRK). Der Oberste Gerichtshof sah in einer Entscheidung sogar die Drittwirkung des Art 7 Abs 1 B-VG in Bezug auf die von einem Erblasser vorgenommen Differenzierung zwischen Nacherben welche adeliger und nicht adeliger Abstammung sind. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die hier ungültige Diskriminierung in Bezug auf die Geburt weder eine aufschiebende noch eine auflösende Bedingung darstellt. Im Ergebnis ist gemäß dieser Entscheidung die gleichheitswidrige Diskriminierung zukünftige Nacherben durch die Bestimmung des Art 7 Abs 1 BVG begrenzt.

 

Der § 700 ABGB als eine lex specialis zu § 879 ABGB hält fest, dass einem volljährigen Erben die Bedingung, wonach dieser sich nicht verehelichen möge, als nicht beigesetzt anzusehen ist. Nur einer Witwe oder einem Witwer kann die Bedingung wirksam auferlegt werden wenn diese Person zumindest ein Kind hat. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass eine Bedingung, wonach ein Legatar oder Erbe nur aus einer bestimmten Kategorie von Personen den Ehegatten wählen darf, gegen die guten Sitten verstößt und ist die Bedingung als nicht beigesetzt anzusehen.

 

Der Oberste Gerichtshof sah jedoch die Möglichkeit, dass die Bedingung der Ehelosigkeit gültig auferlegt werden kann, wenn der Erbe oder der Legatar eine Rente bis zur Eheschließung erhält und die bis dahin erhaltene Zuwendung nicht zurückgeben muss, sofern die Zuwendung der Rente in Versorgungsabsicht hinterlassen wurde. Die Versorgungsabsicht ist bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten. Diese Entscheidung stellt klar, dass es darauf ankommt, aus welchem Motiv die Bedingung der Ehelosigkeit verfügt wurde. Wenn die Versorgung bis zur Verehelichung des Erben oder Legatars Motivation der Zuwendung war, kann die Bedingung wirksam auferlegt werden. Nur wenn die Zuwendung mit dem verpönten Motiv verfügt wird, jemanden dauerhaft vom Eingehen einer Ehe abzuhalten, kann die Bedingung der Ehelosigkeit nicht gültig auferlegt werden. Angemerkt sei diesbezüglich, dass im Zeitpunkt dieser Entscheidung das Justiz-Hofdekret vom 23. Mai 1844 JGS Nr. 807/1844 noch in Kraft war. Gemäß der Lehre sind die Wertungen des Hofdekretes jedoch weiterhin zu beachten.


2. Unerlaubte aufschiebende und auflösende Bedingung in einer letztwilligen Verfügung

 

Wenn ein Erbe oder Legatar nur durch Erfüllung einer sittenwidrigen und damit unerlaubten aufschiebenden Bedingung sein Erbe oder sein Legat erhalten soll, so ist gemäß § 698 ABGB die gesamte Anordnung unwirksam. Wenn dem Erben oder Legatar eine unerlaubte auflösende Bedingung auferlegt wird so ist nur die auflösende Bedingung als nicht beigesetzt anzusehen. Es kommt daher darauf an, ob der Erblasser mit der unerlaubten Bedingung ein Tun oder Unterlassen erst durch eine Zuwendung belohnt, oder ob der Erblasser nach Erfüllung einer unerlaubten Bedingung einen Vorteil entzieht.


3. Bedingungen bei Verträgen

 

Aufgrund des Verweises in § 897 ABGB bezüglich Bedingungen in Verträgen auf die Regelungen betreffend die Bedingungen in letztwilligen Verfügungen, gelten grundsätzlich die gleichen Rechtsfolgen für Verträge unter Lebenden. Jedoch sieht § 898 ABGB als Rechtsfolge vor, dass eine Verabredung in den Fällen zur Gänze ungültig ist, in denen die Bedingung als nicht beigesetz anzusehen ist.


4. Die Anwendbarkeit des § 898 ABGB auf die Einsetzung Begünstigter unter unerlaubter auflösender Bedingungen in einer Stiftungserklärung

 

Weder die §§ 698ff ABGB noch § 898 ABGB findet auf einer Stiftungserklärung unmittelbar Anwendung, nachdem die Stiftungserklärung weder eine letztwillige Verfügung noch einen Vertrag darstellt. Der oberste Gerichtshof sieht jedoch in einer Entscheidung eine Beschränkung der Anwendung des § 898 ABGB auf mehrseitige Rechtsgeschäfte. Darin hält der Oberste Gerichtshof auch fest, dass einen letztwillig Bedachten kein Verschulden am Zustandekommen des verpönten Geschäfts trifft und daher den letztwillig Bedachten die verpönte Bedingung auch nicht zum Nachteil gereichen soll. Nicht nur beruht die Einsetzung eines Begünstigten in der Stiftungserklärung alleine auf dem Willen des Stifters, sondern kann die Einsetzung auch ohne Wissen und Willen der Begünstigten erfolgen, sodass auch den Begünstigten nicht zwangsläufig ein Verschulden an einer beigesetzten verpönten Bedingung trifft.

 

Eine historische Interpretation des § 898 ABGB führt zum III Theil, 1. Hauptstück, § 29 des Westgalizischen Gesetzbuches und lautet dort der letzte Satz einer dem § 898 ABGB entsprechenden Bestimmung: „Vertragende Theile können dergleichen Ungereimtheiten ausweichen; Erben und Legatare können es nicht.“. Auch aus dieser Bestimmung ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 898 ABGB auf die bei einem Vertrag mitwirkenden Vertragsparteien beschränken wollte. Im Ergebnis sind daher die §§ 698ff ABGB analog auf Bedingungen in Bezug auf die Einräumung einer Begünstigtenstellung anzuwenden, dies deshalb, weil auch ein Begünstigter – sofern er nicht zugleich Stifter ist – nicht an der Errichtung der Stiftungserklärung mitgewirkt hat. Es ist dabei auch nicht von Bedeutung, ob ein Stifter bei Wissen um die Ungültigkeit der Bedingung die Begünstigtenstellung gar nicht gewährt hätte. Im Ergebnis kann einem Begünstigten keine auflösende Bedingung wirksam auferlegt werden, wenn diese den unmittelbaren Persönlichkeitsschutz des Begünstigten verletzt.


5. Die Ungültigkeit einer Einsetzung eines Begünstigten unter einer unerlaubten aufschiebender Bedingung

 

Zu Beginn ist auszuführen, dass auch in einer letztwilligen Verfügung nur eine einzelne Anordnung, welche unter einer unerlaubten aufschiebenden Bedingung verfügt wurde, ungültig ist, während andere Anordnungen gültig bleiben können. Dies könnte in Bezug auf eine Stiftungserklärung dennoch zum Problem werden, wenn dadurch der Privatstiftung Begünstigten fehlen, weil eine Privatstiftung ohne Begünstigte aufzulösen ist.

 

Die Stiftungserklärung hat gegenüber einer letztwilligen Verfügung jedoch den Vorteil, dass diese auch nach dem Tod des Stifters abänderbar bleibt. Der Stiftungsvorstand ist befugt und verpflichtet Änderungen vorzunehmen, um eine Auflösung der Stiftung zu verhindern. Die Änderung durch den Stiftungsvorstand darf jedoch keine Änderung des Stiftungszeckes herbeiführen und muss die Änderung wegen geänderter Verhältnisse erfolgen. Geänderte Verhältnisse liegen dann vor, wenn der Stifterwille nach der ursprünglichen Stiftungserklärung nicht mehr vernünftigerweise verwirklicht werden kann und anzunehmen ist, dass der Stifter unter den geänderten Verhältnissen eine andere Regelung getroffen hätte. Es ist daher die Frage zu stellen, ob der Stifter im Wissen um die gänzliche Ungültigkeit der Begünstigtenregelung wegen einer ungültigen aufschiebenden Bedingung nicht auf die Bedingung verzichtet hätte. Dies wird im Besonderen in Bezug auf Familienstiftungen anzunehmen sein, deren einziger Zweck die Versorgung der Nachkommen des Stifters ist.

 

Short Summary:

Sittenwidrige Bedingungen auf welche der Begünstigte keinen Einfluss hat, weil deren Erfüllung von Geburt an besteht oder nicht besteht sind gleichheitswidrig und gemäß der Judikatur des obersten Gerichtshofes daher als nicht beigesetzt anzusehen. Sittenwidrige auflösende Bedingungen sind als nicht beigesetzt zu betrachten und es bleibt die Einsetzung des Begünstigten aufrecht. Eine sittenwidrige aufschiebende Bedingung lässt jedoch die Einsetzung eines Begünstigten ungültig sein. Eine Reparatur der Begünstigteneinsetzung in der Stiftungsurkunde kann unter gewissen Umständen jedoch möglich sein.