Streitbeilegung des CETA in Übereinstimmung mit EU-Recht
Streitbeilegung des CETA in Übereinstimmung mit EU-Recht
Der Europäische Gerichtshof hat das Investor-State-Dispute-Settlement-System (ISDS) des CETA mit dem EU-Primärrecht als kompatibel erklärt.
Am 30. April 2019 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof seine Stellungnahme 1/17 auf Ersuchen des Königreichs Belgien vom 7. September 2017. Gegenstand des Ersuchens und der entsprechenden Stellungnahme war die Vereinbarkeit von Abschnitt F von Kapitel 8 des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens, besser bekannt als CETA, mit den Verträgen der Europäischen Union. Kapitel 8 Abschnitt F sieht ein Tribunal sowie eine Berufungsinstanz zur Beilegung von Streitigkeiten über die Nichtdiskriminierung oder den Investitionsschutz zwischen Anlegern und Parteien des CETA vor. Beide Justizbehörden sollen künftig von einem noch zu errichtenden multilateralen Investitionsgericht sowie einem Berufungsmechanismus abgelöst werden.
Die Stellungnahme des EuGH zur Vereinbarkeit des Abkommens mit den Verträgen wurde lange erwartet. Nicht nur, weil das CETA bereits vor Jahren im Oktober 2016 unterzeichnet worden war und seit 2017 teilweise vorübergehend angewendet wurde, sondern auch, weil jüngste Stellungnahmen und Urteile des EuGH gegen vergleichbare Gerichte verstießen. Da nach Art. 218 Abs. 11 AEUV von der EU geschlossene Abkommen nicht in Kraft treten können, wenn der Hof sie für nicht vertragsgemäß hält, hätte ein negatives Ergebnis in diesem Fall eine weitere mühsame Neuverhandlung des CETA zur Folge gehabt.
Obwohl der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, dass die Schaffung eines internationalen Streitbeilegungsmechanismus nicht per se den Verträgen widersprechen würde, erfüllte keiner der bisher festgelegten Mechanismen seine Kriterien, die Autonomie der EU-Rechtsordnung nicht zu beeinträchtigen. In jüngster Vergangenheit lehnte der EuGH in drei Fällen völkerrechtliche Gerichte ab, angefangen mit der negativen Beurteilung des Entwurfs eines Abkommens über ein einheitliches Patentstreitsystem, über den Beitritt der EU zur Europäischen Charta der Menschenrechte bis zum Ende des vergangenen Jahres mit einem mehr oder weniger starken Verbot der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten durch Gerichte in der gesamten EU in ihrem Achmea-Urteil.
In all diesen Fällen hat der Gerichtshof sehr deutlich gemacht, dass er ausschließlich für die endgültige Auslegung des Unionsrechts zuständig ist. Die Übertragung von Befugnissen zur Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts auf ein internationales Gericht, das sich dann außerhalb des Rechtsrahmens der EU befindet, wäre nicht mit dem Recht der Verträge vereinbar. Nach Ansicht des EuGH würde dies den Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Befugnisse in Bezug auf die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts und natürlich auch dem Gerichtshof selbst die Befugnis entziehen, letztendlich dieses Recht auszulegen. Ein entscheidendes Kriterium hierbei war der anzuwendende Rechtsrahmen. Während das Tribunal der Achmea-Rechtssache das geltende Recht der Vertragsparteien sowie etwaige Vereinbarungen zwischen ihnen berücksichtigen musste, schränkt das CETA den Auslegungsspielraum des Tribunals ausdrücklich ein. Das ISDS-Tribunal kann das innerstaatliche Recht einer Partei und damit auch das EU-Recht nur als eine Tatsache betrachten. Die Bedeutung, die dem nationalen Recht beigemessen wird, ist für die Gerichte oder Behörden des EU-Mitgliedstaats in keinster Weise bindend. Nach der Auslegung des CETA durch den EuGH kann das Gericht daher nur das Recht der Vereinbarung selbst und andere Regeln und Grundsätze des Völkerrechts zwischen den Parteien anwenden und auslegen.
Der zweite Aspekt dieser Autonomie der EU-Rechtsordnung betrifft ihre Regulierungsbefugnis. Wenn die EU aufgrund einer Beurteilung oder eines Urteils des Gerichts, das sich außerhalb des Justizsystems der EU befindet, ihre Rechtsvorschriften ändern oder zurückziehen müsste, würde die Fähigkeit der Union, autonom zu arbeiten, beeinträchtigt. In Frage käme unter anderem die öffentliche Sicherheit, der Schutz der Gesundheit oder der Umwelt und die Grundrechte. Das CETA selbst bekräftigt jedoch in seinem Artikel 8.9 das Recht der Vertragsparteien, die oben genannten legitimen politischen Ziele zu erreichen. Nach Ansicht des EuGH bedeutet dies, dass das Gericht nicht befugt ist, demokratische Entscheidungen innerhalb der Union oder eines Mitgliedstaats in Frage zu stellen, wenn sein öffentliches Interesse gegen die eines einzelnen ausländischen Investors abgewogen wird.
Weitere Aspekte, die in der Stellungnahme des EuGH angesprochen wurden, waren die Vereinbarkeit des ISDS mit den Grundprinzipien der EU wie Gleichbehandlung, Wirksamkeit und das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht. Während es für europäische Investoren nicht zu beunruhigend sein mag, dass sie ihre Ansprüche gegen EU-Mitgliedstaaten nicht vor dem ISDS-Tribunal des CETA geltend machen können, ist insbesondere die finanzielle Erreichbarkeit für KMU ein entscheidender Faktor für die künftige Bedeutung des Tribunals. Es ist anzumerken, dass der EuGH das Tribunal für KMU an sich nicht zugänglich gemacht hat. Es wurde vielmehr der Schluss gezogen, dass keine der Bestimmungen in Abschnitt F oder Kapitel 8 rechtlich bindende Verpflichtungen in Bezug auf die finanzielle Erreichbarkeit für kleinere Anleger enthält. Die Tatsache, dass dennoch eine ausreichende Zugänglichkeit gewährleistet war, bestand darin, dass die Kommission und der Rat sich verpflichtet hatten, ergänzende Vorschriften zur Minderung der finanziellen Belastung von Verfahren vor dem Tribunal gemäß Artikel 8.39.6 des CETA einzuführen. Dies wurde vom Hof als ausreichend befunden, um die Zugänglichkeit für kleinere Investoren zu gewährleisten.
Kurz gesagt, es gibt einige wesentliche Unterschiede zwischen dem vom CETA eingerichteten ISDS-Tribunal und früheren. Während das Achmea-Urteil eine Vereinbarung zwischen Mitgliedstaaten betraf, ist das CETA eine Vereinbarung zwischen der EU und einem Drittstaat. Darüber hinaus ist der Geltungsbereich des anwendbaren Rechts auf die Vereinbarung beschränkt, was bedeutet, dass das innerstaatliche Recht und das EU-Recht als Tatsache behandelt werden müssen und demokratische Entscheidungen innerhalb der Union oder eines Mitgliedstaats nicht in Frage gestellt werden können. Es bleibt natürlich offen, ob das Tribunal die Vereinbarung genauso auslegen wird wie der EuGH und wie genau die EU die finanzielle Zugänglichkeit zum Tribunal sicherstellen wird.
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